Blütensturm

Kopf hoch, kleiner Hase

Ob das Kind wohl traurig ist?

Leicht zucke ich mit den Schultern, da ich noch nicht weiß, worauf die kleine Fee neben mir anspielt. Langsam gleitet mein Blick vom wolkenverhangenem Himmel zu der zierlichen Gestalt und verfolgt die schnellen Flügelschläge. Langsam nähert Tiara sich einer alten Mauer aus großen Steinen. Wenn ich solche alten Steine sehe, muss ich seit einiger Zeit, genau genommen, seit die Feen mich begleiten, einfach immer sanft mit der Hand über die raue Oberfläche gleiten, die einzigartigen Unebenheiten zu erspüren und mir die Geschichte vorstellen, die sie erzählen.

Während meine Hand also über die zerklüftete Oberfläche gleitet, sinkt Tiara langsam auf den Boden. Vor ihr liegt ein kleines, orangefarbenes Etwas, das ich gerade noch nicht zu erkennen vermag. Neugierig mache auch ich einen Schritt darauf zu. Selbst jetzt, aus der Nähe betrachtet, dauert es noch einen Moment, bis sich der orangene Farbklecks, der an diesem regnerischen Tag doch sehr heraussticht, als ein kleiner Hase aus Plastik entpuppt. Sanft zuckt mein Mundwinkel nach oben, wirkt der Hase doch so, als könne er nur einer Art Überraschungsei entstammen.

Ich weiß nicht Tia, für mich sieht es wie aus eine kleine Figur, die man meist bei Schokolade dazu bekommt. Bestimmt hat ein Kind es eher achtlos weggeworfen oder einfach da hin gelegt.

Ich dachte meine Worte würden meine Begleiterin beruhigen, doch stattdessen dreht sie sich zu mir um und schaut mich mit einem entsetzen Gesichtsausdruck an. Ich frag mich, was ich dieses mal  wieder falsch gemacht habe. Aber das ist leider bei Tiaras eher wechselhafter Laune nicht immer leicht herauszufinden.

Aber er lächelt doch so schön und schau dir nur seine Füße an, die haben zwei unterschiedliche Farben. Und die kleinen Sandkörner da zwischen seinen Ohren. Bestimmt hat das arme Kind es sehr geliebt, mit ihm im Sand zu spielen…

Amüsiert schmunzle ich und betrachte den Hasen nun genauer. Tiara streicht liebevoll über das Gesicht und wischt die Regentropfen fort. „Oder er ist einfach in den Dreck gefallen.“ Wie soll ich ihr nur erklären, dass Figuren wie diese nur sehr selten so lieb gehabt werden, das ein Kind über deren Verlust trauern würde? Doch scheinbar nimmt sie mich gerade nicht wahr.

Armer kleiner Hase. So weit weg von seinem Spielgefährten…. Ich würde ihm unglaublich gerne helfen. Glaubst du, man kann herausfinden, wer den Hasen verloren hat? Bei euch gibt es doch bestimmt irgendwie so was, wo man nach verschwundenen Lieblingsspielzeugen fragen kann, oder?

Zaghaft schüttle ich den Kopf. Mit einer Ü-Ei-Figur werde ich gewiss nicht in das Fundbüro oder gar zur Polizei gehen… Enttäuscht schaut die kleine Fee zu mir hoch. „Es sei denn, du kennst einen Zauber dafür…

Für einen Moment hellt sich ihr Gesicht auf, ehe sich langsam eine kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen bildet. Offensichtlich scheint sie nachzudenken. Schließlich schüttelt sie langsam den Kopf und lässt niedergeschlagen die Schultern hängen.

So einen Zauber kenne ich nicht… Vielleicht Sam, die hat einfach besser in der Schule aufgepasst als ich… Schade, dass sie nicht dabei ist… Und wenn wir den Hasen mitnehmen?

Leise seufze ich. Das wäre vielleicht wirklich eine Möglichkeit, aber was ist, wenn auch Sam keine Lösung für das Problem kennt? Dann wird Tia bestimmt nicht locker lassen, bis ich alles versucht habe, was in meiner Macht steht… Ich seh mich selbst schon Zettel an die Laternen der umliegenden Straßen hängen, auf denen ein Bild des Hasen ist, mit den Worten “Gehört der vielleicht dir? Wenn ja, melde dich, er möchte ganz schnell wieder mit dir spielen…” Oder so ähnlich.

Mein leises Seufzen scheint Tiara zum Nachdenken gebracht zu haben. Langsam schüttelt sie den Kopf, streicht mit dem Zeigefinger über ihre Nase und schaut sich schließlich suchend in der Gegend um.

Wenn ich ihn suchen würde, müsste er mir sofort auffallen…Und das Kind wird ihn doch bestimmt suchen. Also müsste man vielleicht einen Ort finden, wo der kleine Hase gleich ins Auge sticht…

Diese Idee gefällt mir besser, das hätte ich auch gleich vorschlagen sollen… Nur bin ich leider nicht drauf gekommen… Langsam betrachte auch ich die Umgebung aufmerksamer. Die Mauer ist hoch und sehr massiv, auf ihr kann man nichts ablegen, jedenfalls nicht, wenn man möchte, dass es von einem Kind gesehen werden soll. Sonst sind hier nur Straßen, Autos und Hauswände. Auf einer Treppenstufe wird man den Hasen auch nicht besser sehen können, als hier auf dem Fußboden.

Und dann, als mein Blick gerade wieder die Mauer streift, habe ich die Idee. Leicht triumphierend zeige ich auf das Tor in der Steinmauer. Es wirkt etwas älter, die schwarze Farbe ist zum Teil schon abgeblättert und die Klinke hängt runter. Dennoch scheint der Garten dahinter benutzt und gepflegt zu sein. Wenn also die Menschen, die in diesem Haus wohnen, hindurch gehen, werden sie sich schon um den Hasen kümmern.

Wie wäre es mit dem Tor dort“ sage ich schließlich, nachdem Tia meinen ausgestreckten Zeigefinger alleine wohl nicht bemerkt hat. Sie folgt meinem Arm und nickt anerkennend, sogar ein Lächeln liegt wieder auf ihren Lippen.

Ja, da oben auf dem Griff da, da wird man ihn finden….

Gerade in dem Moment als ich mich zu dem Plastikding bücken will,  eilt Tiara herbei und kommt mir zuvor. Liebevoll drückt sie die kleine Figur an ihre Brust und beginnt langsam mit ihren Flügeln zu schlagen. Die ersten Zentimeter fallen ihr augenscheinlich schwer, sie schwankt leicht und ist dabei  auch nicht so schnell wie ich es von ihr gewohnt bin. Wahrscheinlich muss sie sich erst mal an das Gewicht gewöhnen, denk ich mir zumindest. Dann erreicht sie das Tor und  platziert vorsichtig den kleinen Hasen auf der Klinke. Während sie ein kleines Stück zurück fliegt, lächelt sie zufrieden und strafft dabei ihre Schultern.

Jetzt wird er seinen Weg nach Hause finden… Wiedersehn, kleiner Hase! Dann dreht sie sich zu mir um und grinst mich verschmitzt an. Komm schon Silke, wer zuerst zu Hause ist!

Na warte“ ruf ich ihr noch hinterher, während ich mit großen Schritten versuche, der Fee zu folgen. Doch mit der Zeit habe ich gelernt, mir keine zu große Hoffnung zu machen. Gegen die kleinen Flügelchen, die so eine enorme Geschwindigkeit entwickeln können, habe ich einfach keine Chance ….

 

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1 Kommentar

  1. Kitty 18. September 2018

    Ich sitze gerade so gemütlich in meinem Bett und da fallen mir deine kleinen Feen wieder ein. Ich muss einfach nochmal schauen ob ich alle Einträge gelesen habe, diesen hier zB scheinbar nicht 😉
    Beim Lesen muss ich daran denken wie oft ich auf der Straße Spielsachen finde und wie leid es mir auch immer sowohl um das Spielzeug als auch um das Kind tut. Gerade bei kleinen Kindern, denen fällt was aus dem Kinderwagen und wenn es auffällt ist es oft zu spät 🙁 aber wie gesagt, wer bringt ein altes, vllt kleines Teil zum Fundbüro? ._.

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