„Sag mal, bei allen Welten… Was bitte tust du da?“
Genau wie Samantha blicke auch ich nun erstaunt zu Tiara, die beide Arme von sich streckt, während sie, wie hätte ich es auch anders erwarten können, nur auf einem Bein auf der Spitze des Turmes aus Steinen balanciert. Es ist wirklich ein Wunder, dass die Steine noch nicht ins Wackeln geraten sind…
„Ich will tanzen, wie die Tänzerinnen in dieses Flimmerding?… Du weißt schon, dieses komische, magische Ding, wo die Menschen und Dinge ganz klein hinter einer Glasscheibe gezeigt werden…… Wie hieß das noch gleich? … Ach ja! Fernseher!“
„Aber doch nicht auf diesem schönen Turm aus Steinen! Weißt du eigentlich, wie viel Mühe da drin gesteckt haben muss, ihn so auszubalancieren, dass kein einziger Stein herunter fällt?“
Erstaunt mustere ich die kleine Fee am Boden, die von ihren Füßen bis hin zu ihrem Dutt angespannt wirkt. Ihre Hände in ihre Hüfte gestemmt, erhebt sie ihre Stimme leicht beim Sprechen. Auch wenn der Anblick für mich unglaublich süß ist, an Tiaras Stelle würde ich mich lieber in Acht nehmen.
„Weisst du, wie lange der Turm hier schon so steht? Nein, wohl kaum. Aber er trotzt bestimmt schon seit langem dem Wind und den Wellen des Sees. Und was machst du? Du siehst mal wieder nur einen Spielplatz, einen Ort, der nur deinem persönlichen Vergnügen dient. Doch die Schönheit, die das einfache Steingebilde hier ausstrahlt, die siehst du nicht!“
Nun, wo Sam das so sagt, muss ich doch noch einen genaueren Blick auf die Steine werfen. Etwa auf Höhe von Samanthas Schultern ist ein kleiner Stein, der sich von den anderen unterscheidet. Seine blaue Farbe ist wunderschön und sticht somit auf elegante Weise hervor. Am liebsten würde ich ihn einstecken und mit nach Hause nehmen, doch die besonnene Fee hat Recht, dieser Steinturm wirkt in seiner Gesamtheit viel schöner, als der einzelne Stein es in meinen Händen tun würde.
„Du weisst doch auch nicht, wie lange er schon hier steht und warum dieser Turm überhaupt gebaut wurde, oder?“
Uh, Tiara klingt aber, nun, nennen wir es etwas angriffslustiger als sonst. Sie hat inzwischen aufgehört auf einem Bein zu balancieren, stattdessen hat sie beide Füsse auf den kleinen Stein gequetscht, die Hände nun ebenfalls in die Hüften gestemmt und funkelt zu ihrer Freundin herab.
„Vielleicht wollte der Erbauer ja, dass wir Feen hier spielen? Da schon mal drüber nachgedacht?“
„Ähm… also ich glaube, dass diese Steintürme eine andere Bedeutung haben…“ melde ich mich kleinlaut zu Wort.
Ein Fehler, wie ich sogleich bemerke. Beide Feen drehen sich zu mir um und fauchen mich synchron an. Hätte ich mich doch lieber raus gehalten. Nun gut, wenn sie meinen… Zwischen streitende Frauen, oder schlimmer noch, streitende Freunde sollte sich keiner stellen.
Tiara erhebt sich plötzlich in die Luft und lässt sich dann langsam zu Boden gleiten. Wenige Millimeter vor dem Turm landet sie sanft auf ihren Füssen, wobei sie das Gesicht Sam zugewandt hat. Die andere Fee bleibt jedoch regungslos und starrt ihr Gegenüber einfach nur an.
„Wenn dich dieser Turm so fasziniert, warum baust du dann nicht deinen eigenen?“
„Warum kannst du nicht einfach mal etwas ernst nehmen?“
Gespannt halte ich den Atem an. Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl. Tiara schnaubt förmlich vor Wut. Und dann, nachdem sich der Schlagabtausch immer weiter zuspitzt, dreht Tiara sich, nun nur noch mehr erzürnt, um. Weder Sam noch ich können rechtzeitig reagieren. Unser kleiner Wildfang nutzt ihr gesamtes Gewicht und wirft sich mit voller Wucht gegen den Steinturm, der bedrohlich zu schwanken beginnt.
Verzweifelt strecke ich noch die Hand aus, doch bin ich bereits zu spät. Die Steine rutschen voneinander und krachen mit einem Knall auf den Boden.
„TIARA!!“
Aus den Augenwinkeln sehe ich noch, wie Tiara Sam die Zunge herausstreckt, ehe sie, so schnell ihre Flügel sie tragen, vor Samantha davon fliegt. Ein Blinzeln später sind beide auch schon aus meinem Blickfeld verschwunden.
Felix 14. Juni 2018
Sehr schöne Geschichte, erinnert mich an einen Spanien Roadtrip auf dem wir unzählige solcher Türme an der Stränden zurückgelassen haben. Der ganze Strand war voll mit Meterhohen Steintürmen. 🙂
Silke-Gastmann 14. Juni 2018 — Autor der Seiten
Das klingt wundervoll… die hatte ich gerne gesehen… dieser War leider recht klein… 🙂
Barbara 15. Juni 2018
Daran werde ich wohl das nächste Mal denken, wenn ich ein Steinchen wo oben drauf leg. Ich mach das nämlich jedesmal, wenn ich so einen Steinturm sehe 🙂 Nette Geschichte! LG Barbara von Reisepsycho
Silke-Gastmann 15. Juni 2018 — Autor der Seiten
Freut mich, dass sie dir gefällt. Und ich denke, darüber würden sich die beiden Feen sehr freuen, je grösser diese Türme sind, umso besser.
Ich find die immer wunderschön, also danke, dass auch du diese Türme immer wachsen lässt.
Liebe Grüsse
Silke